Unsere Fasnet

Maskenabstauben

Die Cannstatter Kübler sind am Morgen des Dreikönigstags von der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte die ersten, die sich zu einer närrischen Zusammenkunft der besonderen Art treffen. Schon um sechs Uhr beginnt das Maskenabstauben mit einem gemeinsamen herzhaften Frühstück im Zunfthaus. Derart gestärkt reinigt der Maskenmeister symbolisch zwei Masken: einen Felbenkopf und einen Mond. Danach machen sich alle auf den Weg zum Jakobsbrunnen um den Brunnengeist aus den Tiefen der Mineralquellen zu wecken.

Der Höhepunkt des frühmorgendlichen Treibens steht noch bevor und ist ohne Zweifel die feuchtkalte Taufe der neu in die Gruppe aufzunehmenden Narren. Sie vollzieht sich, und sei es noch so eisig, in der Küblergasse vor dem Zunfthaus. Die bereits getauften Narren bilden dabei ein langes Spalier, bewaffnet mit allerhand Behältnissen, in die Wasser geschöpft wurde. Die Narrennovizen erhalten vom Maskenmeister ein mit gutem Cannstatter Sauerwasser gefülltes Kübele, sprechen einen Spruch und schreiten dann einzeln gemächlichen Schritts durch das Narrenspalier. Dabei werden die Gefäße mit leicht temperiertem Wasser über dem Neuling entleert. Nach diesem närrischen „Spießrutenlauf“ erhält der Aspirant Narrenzeugnis und Maske. Damit gilt er als vollwertiges Mitglied der Cannstatter Narren.

Schmotziger Donnerstag

Vor dem Rathaus warten die Bürger Cannstatts am frühen Abend auf den Sturm des Rathauses. Mit einem Festspiel übernehmen die Kübler die Regierungsgewalt und versöhnen sich mit dem Schultes beim Rohrtrunk, einem jahrhundertealten Brauch, der von der Ablösung von Zehntrechten stammt. Mittels eines langen Rohres darf jeder männliche Bürger aus öffentlich aufgestellten Weinbutten so viel trinken „alls ihm bekömmet“, wie es in einer alten Urkunde heißt.

Der „Schmotzige Donnerschtag“ ist der Höhepunkt der Cannstatter Straßenfasnet. Über 5.000 närrische Besucher treffen sich auf dem Cannstatter Marktplatz um dem Kübelesrennen beizuwohnen. Wo am Morgen noch Salatköpfe den Besitzer wechselten, ist nun ein Hindernisparcours aufgebaut. Wippe, Stadttore, Brücken, ein hölzerner Brunnen und vieles andere wartet auf die teilnehmenden Mannschaften, die sich noch mit Nachthemd und Zipfelmütze bekleidet beim Hemdglonkerumzug befinden. Der endet auf dem Marktplatz und das Kübelesrennen kann beginnen. Prominente Mannschaften vom Oberbürgermeister bis zu VfB-Fußballstars stürzen sich in einem dreirädrigen Holzkübele sitzend in den närrischen Hindernislauf, von einer vieltausendköpfigen Zuschauerschar freudig beäugt. Besondere Schadenfreude tritt zu Tage, wenn das Rennkübele der Politessen ins Straucheln gerät und umkippt.

Wenn die Gewinner gekürt sind verwandelt sich der Marktplatz zum närrischen Mittelpunkt der Stadt. An verschiedenen Ständen können sich die Besucher mit Speisen und Getränken versorgen und zu typischer Fasnetsmusik tanzen und mitsingen.

Auch die zahlreichen Gasthäuser und Weinstuben scheinen aus den Fugen zu geraten. Ein Sitzplatz ist nicht mehr zu bekommen. Ein Wunder, dass die Lumpenkapellen, Maschkergruppen und Guggenmusiken noch ein Plätzchen finden, wo sie aufspielen können.

Fasnets-Samstag

Am Fasnetssamstag kehren die Cannstatter Narren der Straße den Rücken zu und treffen sich am Ort der Vereinsentstehung, im Cannstatter Kursaal, zum alljährlichen Küblerball. Mit über 200 Akteuren präsentieren sich die verschiedenen Gruppen des Kübelesmarktes und unterhalten die Besucher mit ihren Darbietungen. Eine Partyband unterhält die Gäste in den Pausen und bis zum Ende der Veranstaltung mit Tanzmusik. Wer es ungezwungener mag kann im Foyer in der Discobar seinen Spaß haben.

Davor am Nachtmittag treffen sich alle Kinder Cannstatts zur Kinderfasnet im Kursaal.

Fasnets-Sonntag

Da sich der Küblerball am Samstag meist bis in die frühen Morgenstunden des Fasnetssonntag ausdehnt, beginnt das Narrentreiben erst mit Einbruch der Dämmerung. Fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit spielen die Mitglieder der Narrengruppe die „Felbensaga“, also jene Geschichte, der die Cannstatter den Spitznamen „Felbenköpfe“ zu verdanken haben.

Im Jahre sechzehnhundertwoischnemme belagerte der französische Mordbrenner General Ezéchiel de Mélac das nahe Esslingen. In Cannstatt hatte man Angst vor seinen Brandschatzungen. Der Nachtwächter hielt deshalb besonders aufmerksam Wache. Plötzlich sah er auf der anderen Seite des Neckars „baumlange Kerle“ aufmarschieren und alarmierte die Bürgerwehr. Als sich dann am Morgen der Nebel lichtete, mussten die Cannstatter feststellen, dass dies keine Franzosen waren. Vielmehr standen dort nur Felben – der mundartliche Ausdruck für Korbmacherweide. Seither nennt man die Cannstatter „Felbaköpf“. Nach der Schauspielerei zieht die ganze Narrenschar angeführt vom Spielmannszug in die Cannstatter Stadtkirche, um einen Narrengottesdienst zu feiern. Der Abend endet mit einer gemütlichen Wirtshausfasnet.

Fasnets-Montag

Um die Mittagszeit verteilt der Küblerrat die Narrensupp an alle Cannstatter, die sich auf den Weg ins Städtle machen, während sich eine Vielzahl der Narren auf den Weg zum jährlichen Besuch ins Altersheim macht.

Mit viel Eifer und Mühen haben sich die Schnurrgruppen auf den Abend des Fasnetsmontag vorbereitet. Jetzt sind die Cannstatter unter sich. Man setzt sich in eine der vielen Weinstuben, trifft sich mit Freunden und wartet auf die Schnurrgruppen, die in die Gasthäuser einfallen.

Hier entfaltet sich die Kreativität der wilden, ungeordneten und unreglementierten Fasnet. Vom Persönlichkeitstest, über schwule Friseure bis hin zu den Höhlenmenschen und Schokoriegeln reicht das Spektrum närrischer Ideen. Nur wenige Wirtshaushocker werden verschont: Von den Waschweibern mit Rasierschaum eingeseift, von den Friseuren die Haare gefärbt oder die Koteletten rasiert, von den Schokoriegeln mit Süßem vollgestopft und von den Metzgern mit Theaterblut bespritzt; von den Ärzten närrisch untersucht, von Kosmetikerinnen die Nägel lackiert, von Gärtnerinnen mit Samentütchen ausgestattet und vom Olympiateam motiviert – zum Glück ist nur einmal im Jahr Fasnetsmontag. Für viele Cannstatter ist dies der schönste, der persönlichste Abend der Fasnet. Vielleicht auch deshalb, weil keiner ungeschoren davon kommt.

Fasnets-Dienstag

Während die Narren mit dem Spielmannszug durch die Cannstatter Läden ziehen, hat sich der Küblerrat mit dem Oberbürgermeister und den Honoratioren der Stadt zu einer Küblerratssitzung ins Kleine Rathaus, der typischsten aller Weinstuben der Sauerwasserstadt, zurückgezogen. Dort gilt es Wortgefechte mit dem scharfen Mundflorett auszutragen.

Draußen in der Marktstraße rotten sich derweil mehr als 800 Kinder zusammen um auf den „Geizig“ zu warten, eine Figur, die nur am Fasnetsdienstag auftritt. Glockenschlag zwölf Uhr tritt er auf den Plan und führt die Kinder, beständig zu Geizig-Rufen anfeuernd, von Laden zu Laden. „Geizig, geizig, geizig isch der Bäck. Und wenn er net so geizig wär, no gäb er au a paar Brezla her!“ So schreiend fordern die Kinder und der Geizig die Ladenbesitzer zur närrischen Bescherung auf. Gut zwei Stunden dauert der Zug der Kinder. Er endet vor dem alten Rathaus, das in diesen Tagen besonders fasnächtlich dekoriert ist.

Mehr als dreißig Kindergärten, Tagheime, Horte und Schulen haben sich wochenlang auf das Ereignis des Jahres vorbereitet: Am Fasnetsdienstag ist Kinderumzug. Wikinger, viele Harry Potters, ein ganzer Zoo, Marienkäfer und Germanen, Indianer und Kirchenmäuse besiedeln die historische Innenstadt. Mit sehr viel Liebe zum Detail beschäftigen sich die Pädagogen schon Wochen und Monate vorher mit dem Thema ihrer närrischen Darstellung. Der Lohn für diese Mühe ist ebenso mager wie heiß begehrt: eine rote Wurst in einem Wecken, den der Küblerrat den Kindern spendiert.

Das Ende: Fasnetsverbrennsäufung. In den Abendstunden dümpelt die Fasnet ihrem Ende zu. Die Geldbeutel sind leer, die Herzen voll und mancher Narr auch. Zaghafter als an den Abenden zuvor füllen sich die Gaststätten. Vereinzelt ziehen noch Felben und Monde durch die Wirtshäuser um aufzusagen, was noch zu sagen ist. Doch kurz vor zwölf treffen sich noch einmal alle vor dem Zunfthaus. Die noch vor Stunden närrischen Bürger der alten Oberamtsstadt haben sich in schwarze Gewänder gehüllt. Ruhig formiert man sich zu einem Trauerzug, der, angeführt von zwei „scheinheiligen Geistlichen“ und einem Musikanten mit einer großen Trommel, in langsamen Schritten durch die Marktstraße zum Rathaus zieht. Mit sich führt man eine auf einer Bahre liegende Strohpuppe. Vor dem Rathaus versammelt sich die große Trauergemeinde um den Narrenbaum und singt gemeinsam: „Nehmt Abschied Brüder, ungewiss ist alle Wiederkehr.“ Die bislang ausgelassene Stimmung wird ernst und feierlich und es geht wenige Meter weiter zur Wilhelmsbrücke. Am Scheitelpunkt angekommen erheben die beiden Geistlichen das Wort und sprechen Mahnendes an die versammelte Narrenschar, bevor die Strohpuppe über das Brückengeländer gehängt und angezündet wird. Kurz darauf stürzt die brennende Puppe in den Neckar und versinkt langsam in den dunklen Fluten des Flusses. Vereinzelt hört man noch den Ruf: „Hebet se!“

Aschermittwoch

Die Fasnet bäumt sich am Aschermittwoch ein letztes Mal auf. Meist Mitglieder der Narrengruppe und der Mondlöscher treffen sich schwarz gekleidet in der Weinstube Zaiß zum traditionellen „Volksforellenessen“. Bei Rollmops, Brötchen und Bier wird das Ende der Fasnet betrauert, die Anwesenden gewogen und die Ergebnisse in ein Gästebuch eingetragen. Besondere Taten, ob positiver oder negativer Natur, werden verkündet und die Beteiligten auf humorvolle Art und Weise geehrt oder auch gerügt. Dann begibt sich die Trauergemeinde zum nahe gelegenen Erbsenbrunnen um unter großem Wehklagen ihre Geldbeutel auszuwaschen. Mit einem letzten Bier verabschieden sich die Narren dann in die Fastenzeit, um sich auch erst nach Ostern wieder zu treffen. Als einziger Trost bleibt allen nur der alte Spruch „S’goht dagega!“.